Bauwerk
Science Tower Smart City Graz
Markus Pernthaler - Graz (A) - 2017
Neue Grätzelzellen für Grazer Grätzel
Am Donnerstag wurde der Science Tower eröffnet. Der 60 Meter hohe Büroturm versteht sich als Visitenkarte und Technologielabor für das Forschungsprojekt „Smart City Graz“, das hier bis 2024 realisiert werden soll.
23. September 2017 - Wojciech Czaja
Auf dem Stundenplan stehen heute Englisch, Geschichte und Urban Smartness. Wie jede Woche lernen die Schüler dabei, wie Stadt funktioniert und wie die Zukunft der Stadt im Kontext von Mensch, Verkehr, Baukultur, Wirtschaft und Technologie geplant und optimiert werden kann. Was heute noch utopisch klingt und wie aus einer fernen Schulwelt anmutet, könnte bald Realität sein. Der erste Baustein des Forschungs- und Stadtverdichtungsprojekts „Smart City Graz“ wurde vorgestern feierlich eröffnet.
Unscheinbar und auch befremdlich technoid ragt der 60 Meter hohe Science Tower in den Grazer Himmel. „Der Science Tower ist mehr als nur ein klassischer Büroturm“, sagt der Architekt und Projektinitiator Markus Pernthaler. „Er ist in erster Linie ein Beispiel dafür, wie Architektur in Zukunft nicht nur Energie verbrauchen, sondern auch selbst produzieren kann. Wir haben das Haus mit den neuesten, derzeit am Markt erhältlichen Systemen und Technologien ausgestattet. Und ich kann mir gut vorstellen, dass wir das eine oder andere Detail in ein paar Jahren schon nachrüsten werden.“ Pernthaler sieht das Projekt als eine Art Labor in progress.
Und tatsächlich ist der Turm, der über Geothermie gespeist wird und weder über Heizkörper noch Klimageräte verfügt, die Summe von Innovationen und weltweiten Premieren. Es fängt bei der braun-orangen Glasfassade an, die sich wie ein Gruß aus den Siebzigerjahren um den Turm wickelt und gleich einem geblähten Segel nach oben ragt. Was auf den ersten Blick wie ein mäßig geglücktes Stilzitat anmutet, ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein kleines Kraftwerk, das in der Lage ist, mittels technisch nachgebildeter Fotosynthese Strom zu produzieren.
Im Gegensatz zu herkömmlicher Photovoltaik nämlich wird bei der sogenannten Grätzelzelle das Sonnenlicht nicht etwa über Silizium oder andere Halbleiter absorbiert, sondern über organische und synthetische Farbstoffe. Die von Michael Grätzel 1992 entwickelte und patentierte Technologie, die mit Chlorophyll, Hibiskusextrakten oder Brombeer-Anthocyanen betrieben wird, hat den Vorteil, dass sie auch bei geringem und indirektem Licht – und sogar unabhängig von der Einstrahlrichtung – funktioniert.
„Noch hat die Grätzelzelle einen sehr geringen Wirkungsgrad“, sagt Pernthaler und beziffert diesen mit sechs Prozent. „Aber früher oder später muss man mal anfangen, neue Technologien einzusetzen und empirische Alltagswerte zu sammeln, sonst findet Entwicklung niemals statt.“ Ursprünglich habe man die Grätzelzellen in den obersten Geschoßen des Turms grün färben, also mit Chlorophyll beschichten wollen, aber das wäre in diesen Dimensionen, in denen die Farbstoffsolarzelle übrigens erstmals zum Einsatz kommt, zu teuer gewesen.
Auch in den unteren Etagen hat der 16 Millionen Euro teure Science Tower, in dem unter anderem Forschungsbetriebe und Start-up-Unternehmen aus dem Bereich Green Technologies eingemietet sind, ein Novum zu bieten. Die vom steirischen Unternehmen SFL Technologies entwickelte, doppelschalige Glasfassade besteht aus hauchdünnen, chemisch gehärteten Gläsern. Durch das besondere Verfahren kann die Glasstärke auf zwei Millimeter (!) reduziert werden. Das entspricht der Stärke von 15 Blatt Papier. Der Strapazierfähigkeit und Belastbarkeit durch Wind und Wetter tut dies keinen Abbruch.
„Langfristig lassen sich auf diese Weise Tonnage, Konstruktionsmaterial und letztendlich auch Baukosten einsparen“, sagt Mario Müller, Geschäftsführer und Prokurist bei SFL Technologies. „Doch es geht nicht nur um Effizienz. Wir sehen den Turm vor allem als Forschungsprojekt, an dem wir unsere eigenen Entwicklungen ausprobieren können, und als Aushängeschild für die Smart City Graz, die hier in den kommenden Jahren errichtet werden soll.“
Bis 2024 soll die Smart City Graz, die sich auf mehr als 400 Hektar über die Bezirke Gries, Lend, Eggenberg und Wetzelsdorf erstreckt, in Zusammenarbeit mit privaten Investoren und öffentlicher Hand Stück für Stück realisiert werden. Geplant sind Wohnungen für mehr als 7000 Menschen, Büros, Schulen, Kindergärten und diverse Nahversorger im Bereich Gewerbe und Gastronomie. Mit sämtlichen Grundstückeigentümern wurde die Vereinbarung getroffen, dass 50 Prozent aller Umwidmungsgewinne in soziale und ökologische Nachhaltigkeit investiert werden müssen. Dieser Ansatz ist radikal. Und er beweist, dass die Privatwirtschaft auch ohne städtebauliche Verträge in die Verantwortung genommen werden kann, wenn es um die Errichtung und Finanzierung städtischer Infrastruktur geht.
Das Planungs- und Forschungskonsortium der Smart City besteht aus zwölf nationalen und internationalen Partnern unter der Führung der Stadt Graz. Neben Architekt Markus Pernthaler und SFL Technologies sind das Holding Graz, Energie Graz, Stadtlabor Graz, TU Graz, AVL und Eco World Styria. Das zu erwartende Investitionsvolumen beläuft sich auf 330 Millionen Euro. Gefördert wird das Mammutprojekt von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) mit 4,2 Millionen Euro.
Über intelligente Städte und die Sinnhaftigkeit von dünnen Gläsern und bunten Solarzellen lässt sich streiten, keine Frage. Doch der hier gewählte Ansatz, das neue Grätzel als verwegenes Experimentallabor für künftige Technologien zu nutzen, ist überzeugender als viele andere Smart-City-Konzepte, die in den letzten Jahren gestartet wurden. All das, so der Plan, soll die kommende Generation hier eines Tages bereits im Schulunterricht vermittelt bekommen.
„Die drei Schwerpunkte der Smart City Graz sind Forschung und Entwicklung, Kunst und Kultur sowie der große Themenbereich der Education“, sagt Kai-Uwe Hoffer, Grazer Stadtbaudirektor und Projektleiter der Smart City Graz, im Gespräch mit dem STANDARD . „Unsere Vision ist ein Stadtquartier, in dem die Zukunft holistisch gedacht, ausprobiert und vermittelt werden kann. Dazu gehört auch Urban Smartness auf dem Stundenplan.“
Unscheinbar und auch befremdlich technoid ragt der 60 Meter hohe Science Tower in den Grazer Himmel. „Der Science Tower ist mehr als nur ein klassischer Büroturm“, sagt der Architekt und Projektinitiator Markus Pernthaler. „Er ist in erster Linie ein Beispiel dafür, wie Architektur in Zukunft nicht nur Energie verbrauchen, sondern auch selbst produzieren kann. Wir haben das Haus mit den neuesten, derzeit am Markt erhältlichen Systemen und Technologien ausgestattet. Und ich kann mir gut vorstellen, dass wir das eine oder andere Detail in ein paar Jahren schon nachrüsten werden.“ Pernthaler sieht das Projekt als eine Art Labor in progress.
Und tatsächlich ist der Turm, der über Geothermie gespeist wird und weder über Heizkörper noch Klimageräte verfügt, die Summe von Innovationen und weltweiten Premieren. Es fängt bei der braun-orangen Glasfassade an, die sich wie ein Gruß aus den Siebzigerjahren um den Turm wickelt und gleich einem geblähten Segel nach oben ragt. Was auf den ersten Blick wie ein mäßig geglücktes Stilzitat anmutet, ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein kleines Kraftwerk, das in der Lage ist, mittels technisch nachgebildeter Fotosynthese Strom zu produzieren.
Im Gegensatz zu herkömmlicher Photovoltaik nämlich wird bei der sogenannten Grätzelzelle das Sonnenlicht nicht etwa über Silizium oder andere Halbleiter absorbiert, sondern über organische und synthetische Farbstoffe. Die von Michael Grätzel 1992 entwickelte und patentierte Technologie, die mit Chlorophyll, Hibiskusextrakten oder Brombeer-Anthocyanen betrieben wird, hat den Vorteil, dass sie auch bei geringem und indirektem Licht – und sogar unabhängig von der Einstrahlrichtung – funktioniert.
„Noch hat die Grätzelzelle einen sehr geringen Wirkungsgrad“, sagt Pernthaler und beziffert diesen mit sechs Prozent. „Aber früher oder später muss man mal anfangen, neue Technologien einzusetzen und empirische Alltagswerte zu sammeln, sonst findet Entwicklung niemals statt.“ Ursprünglich habe man die Grätzelzellen in den obersten Geschoßen des Turms grün färben, also mit Chlorophyll beschichten wollen, aber das wäre in diesen Dimensionen, in denen die Farbstoffsolarzelle übrigens erstmals zum Einsatz kommt, zu teuer gewesen.
Auch in den unteren Etagen hat der 16 Millionen Euro teure Science Tower, in dem unter anderem Forschungsbetriebe und Start-up-Unternehmen aus dem Bereich Green Technologies eingemietet sind, ein Novum zu bieten. Die vom steirischen Unternehmen SFL Technologies entwickelte, doppelschalige Glasfassade besteht aus hauchdünnen, chemisch gehärteten Gläsern. Durch das besondere Verfahren kann die Glasstärke auf zwei Millimeter (!) reduziert werden. Das entspricht der Stärke von 15 Blatt Papier. Der Strapazierfähigkeit und Belastbarkeit durch Wind und Wetter tut dies keinen Abbruch.
„Langfristig lassen sich auf diese Weise Tonnage, Konstruktionsmaterial und letztendlich auch Baukosten einsparen“, sagt Mario Müller, Geschäftsführer und Prokurist bei SFL Technologies. „Doch es geht nicht nur um Effizienz. Wir sehen den Turm vor allem als Forschungsprojekt, an dem wir unsere eigenen Entwicklungen ausprobieren können, und als Aushängeschild für die Smart City Graz, die hier in den kommenden Jahren errichtet werden soll.“
Bis 2024 soll die Smart City Graz, die sich auf mehr als 400 Hektar über die Bezirke Gries, Lend, Eggenberg und Wetzelsdorf erstreckt, in Zusammenarbeit mit privaten Investoren und öffentlicher Hand Stück für Stück realisiert werden. Geplant sind Wohnungen für mehr als 7000 Menschen, Büros, Schulen, Kindergärten und diverse Nahversorger im Bereich Gewerbe und Gastronomie. Mit sämtlichen Grundstückeigentümern wurde die Vereinbarung getroffen, dass 50 Prozent aller Umwidmungsgewinne in soziale und ökologische Nachhaltigkeit investiert werden müssen. Dieser Ansatz ist radikal. Und er beweist, dass die Privatwirtschaft auch ohne städtebauliche Verträge in die Verantwortung genommen werden kann, wenn es um die Errichtung und Finanzierung städtischer Infrastruktur geht.
Das Planungs- und Forschungskonsortium der Smart City besteht aus zwölf nationalen und internationalen Partnern unter der Führung der Stadt Graz. Neben Architekt Markus Pernthaler und SFL Technologies sind das Holding Graz, Energie Graz, Stadtlabor Graz, TU Graz, AVL und Eco World Styria. Das zu erwartende Investitionsvolumen beläuft sich auf 330 Millionen Euro. Gefördert wird das Mammutprojekt von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) mit 4,2 Millionen Euro.
Über intelligente Städte und die Sinnhaftigkeit von dünnen Gläsern und bunten Solarzellen lässt sich streiten, keine Frage. Doch der hier gewählte Ansatz, das neue Grätzel als verwegenes Experimentallabor für künftige Technologien zu nutzen, ist überzeugender als viele andere Smart-City-Konzepte, die in den letzten Jahren gestartet wurden. All das, so der Plan, soll die kommende Generation hier eines Tages bereits im Schulunterricht vermittelt bekommen.
„Die drei Schwerpunkte der Smart City Graz sind Forschung und Entwicklung, Kunst und Kultur sowie der große Themenbereich der Education“, sagt Kai-Uwe Hoffer, Grazer Stadtbaudirektor und Projektleiter der Smart City Graz, im Gespräch mit dem STANDARD . „Unsere Vision ist ein Stadtquartier, in dem die Zukunft holistisch gedacht, ausprobiert und vermittelt werden kann. Dazu gehört auch Urban Smartness auf dem Stundenplan.“
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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