Bauwerk

Campus Technik Lienz
fasch&fuchs.architekten - Lienz (A) - 2018
Campus Technik Lienz, Foto: Paul Ott
Campus Technik Lienz, Foto: Paul Ott

Leicht ist das Schweben

Eine Schulerweiterung als Protest gegen die Schwerkraft: Mit dem Campus Technik Lienz bringen Hemma Fasch und Jakob Fuchsdie Architektur zum Fliegen und erhalten dafür die Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen.

27. Oktober 2018 - Christian Kühn
Manchmal geht es schnell: Im Februar 2016 trat die Jury des Architekturwettbewerbs für den Campus Technik Lienz zu ihrer entscheidenden Sitzung zusammen; exakt zwei Jahre später, im Februar 2018, fand die Eröffnung statt. Der Campus kombiniert verschiedene Bildungseinrichtungen an einem Standort: eine Tiroler Fachberufsschule, eine private Höhere Technische Lehranstalt sowie eine Außenstelle der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck und der Universität für Medizinische Informatik und Technik in Hall in Tirol.

Abgekürzt zierten die Namen dieser Institutionen das Deckblatt der Wettbewerbsausschreibung und vermittelten den Architekten eine Ahnung von der Komplexität ihrer Aufgabe: TFBS, PHTL, LFUI und UMIT sollten so viele Synergien wie möglich entfalten, aber trotzdem als eigene Institutionen sichtbar und funktionsfähig bleiben.

Die Rahmenbedingungen für diese Aufgabe waren ausgesprochen schwierig. Der Standort am Ufer des Flusses Isel ist bereits mit Bestandsbauten besetzt, die über die Jahre gewachsen sind. Den Anfang machte die Fachberufsschule, zu der später die formal private, de facto aber von Bund, Land und Gemeinde getragene HTL kam, die sich auf Mechatronik spezialisiert hat. Diese bestehenden Einrichtungen sollten erweitert und um neue Räume für die Außenstelle von LFUI und UMIT ergänzt werden.

Flächenmäßig waren rund 3000 zusätzliche Quadratmeter Nutzfläche zu schaffen: Seminarräume, Büros und offene Arbeitsplätze für die Universitäten, neue Klassenräume für die PHTL und dazwischen Labors und eine Bibliothek zur gemeinsamen Nutzung. Ein großes Foyer sollte als Treffpunkt für die Studierenden aller Altersgruppen dienen. Als Standort für die Erweiterung war allerdings ein Grundstück vorgesehen, das die Kette von Bestandsbauten entlang der Uferpromenade mit einem weiteren mehrgeschoßigen Solitärbau fortgesetzt hätte. Diese Lösung hätte den Neubau aber isoliert und weit vom Hauptzugang auf den Campus abgerückt, der sich im Osten des Grundstücks befindet, wo die Uferpromenade und eine Brücke über die Isel zusammentreffen.

Die Architekten Hemma Fasch und Jakob Fuchs schlugen ein völlig anderes Konzept vor: einen auf Stützen über der Uferpromenade schwebenden eingeschoßigen Baukörper, der den bestehenden Gebäuden vorgelagert und durch Brücken mit ihnen verbunden ist. Erfahrungen mit dem Thema einer scheinbar schwebenden Architektur haben Fasch und Fuchs bereits mit der Schiffstation für den Twin City Liner Wien–Bratislava am Wiener Donaukanal gesammelt. Das Projekt in Lienz ist mit seinen knapp über 150 Meter Länge deutlich größer und von seiner Funktion her komplexer. Vor der Länge scheuen sich Fasch und Fuchs nicht, im Gegenteil: Die innere Erschließung läuft schnurgerade über diese Länge durch, während sich zuerst auf der einen, dann auf der anderen Seite die Nutzflächen anordnen und dabei elegant den Bäumen ausweichen, die nach Möglichkeit erhalten bleiben sollten. An einigen Stellen kommt der horizontale „Flieger“ den Baumstämmen erstaunlich nahe, was nur möglich ist, weil sein Brückentragwerk auf wenigen Fundamentpunkten ruht und damit die Wurzeln der Bäume nicht beschädigt. Im Inneren des fliegenden Baukörpers dürfen sich die Nutzer wie in einem Raumschiff fühlen, das gerade an seinem Landeplatz an der Isel angedockt hat. Die Böden sind in einem kräftigen Gelb gehalten, die leichten Trennwände in einem Graublau, das an die Farbe der Dolomiten erinnert, und die Vorhänge im wässrigen Grün des vorbeirauschenden Flusses. Die Fachwerkkonstruktion, geplant von Werkraum Ingenieure, besteht aus runden, weiß gestrichenen Stahlrohren und überwindet die großen Spannweiten mit beachtlicher Leichtigkeit. Für Boden und Decke kamen Stahlbeton-Hohldielen mit bis zu 17 Meter Spannweite zum Einsatz, die zwischen den geschoßhohen Fachwerken an den beiden Längsseiten des Baukörpers gespannt sind.

Zu einer eigenen Herausforderung wurde ein kleiner Wildbach, der unter dem aufgeständerten Gebäude durchfließt und in die Isel mündet. Wasserrechtlich ist eine Überbauung des Bachs mit Nutzflächen grundsätzlich untersagt, und es bedurfte einiger juristischer Fantasie, zu einer Lösung zu kommen. Solche scheinbar nebensächlichen Probleme können ein Bauprojekt um Monate zurückwerfen. Dass in diesem Fall die äußerst knappe Bauzeit eingehalten wurde, grenzt an ein Wunder. Nicht nur das Wasserrecht, sondern auch die komplexe Nutzerstruktur, der Hochwasserschutz der Isel und die auch sonst nicht gerade triviale Konstruktion hätten jede Menge Anlass für Verzögerungen geboten. Offensichtlich haben bei diesem Projekt alle Beteiligten an einem Strang gezogen, statt bei jedem Problem nach einem Schuldigen zu suchen.

Das Ergebnis spricht jedenfalls für sich. Es strahlt einen Optimismus aus, der perfekt zur tollkühnen Idee passt, Lienz zur Universitätsstadt zu machen, indem man einige Büros und Hörsäle hierher auslagert und sie per Videokonferenz interaktiv an die Hauptstandorte in Innsbruck und Hall anbindet. Ob das funktioniert, werden die nächsten Jahre zeigen. Die Raumstruktur, die Fasch und Fuchs geschaffen haben, ist flexibel genug für zukünftige Anpassungen.

Man kann diese schwebende Architektur auf zwei Arten lesen: als raffinierte Antwort auf eine höchst spezifische Situation – keine andere Lösung hätte alle Institutionen so elegant verflochten und gleichzeitig so wunderbare Außenräume entlang der Uferpromenade geschaffen. Man kann sie aber auch als Erinnerung an den alten Traum der Moderne lesen, Ausdruck einer besseren Welt zu sein, in der die Gesetze der Schwerkraft suspendiert sind. Architektur kann diese Utopie konkret machen, braucht dafür aber die nötigen Ressourcen und Fürsprecher. Dass gerade dieses Bauwerk vergangene Woche die Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen erhalten hat, ist daher besonders erfreulich.

Die Schülerinnen und Schüler in der HTL in Lienz sind von den neuen Räumen jedenfalls begeistert und inspiriert. Ob die Tatsache, dass es heuer erstmals kein „Nicht genügend“ bei der Mathematikmatura gab, wirklich darauf zurückzuführen ist, dass die Prüfung im neuen Gebäude stattfand, wird sich nur schwer beweisen lassen. Dass diese Vermutung überhaupt kursiert, ist aber ein gutes Zeichen.

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