Bauwerk

Future Art Lab
Pichler & Traupmann - Wien (A) - 2020
Future Art Lab, Foto: Toni Rappersberger
Future Art Lab, Foto: Toni Rappersberger

Ganz oben sind die Klaviere

Ein Labor für viele Künste: Die Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien (MDW) erhält einen präzise konzipierten, schönen und zukunftsfähigen Schlussstein für ihren Campus.

19. Dezember 2020 - Christian Kühn
Manchmal braucht es eben zwei Anläufe. Als die Bundesimmobiliengesellschaft 2012 einen Architekturwettbewerb für den Neubau eines Institutsgebäudes auf dem Campus der MDW, der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, ausschrieb, ahnte niemand, welche Odyssee den Beteiligten bevorstand. Eingereicht wurden 86 Projekte, aus denen die Jury den Beitrag der Architekten Christoph Pichler und Hannes Traupmann als besten auswählte. Die Aufgabe war äußerst komplex, nicht zuletzt wegen der heterogenen Nutzergruppen aus unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen. Die MDW als Institution ist weniger bekannt als einige ihrer Institute, zu denen das Reinhardt-Seminar, die Filmakademie und das Institut für Komposition, Elektroakustik und Tonmeisterausbildung (ELAK) gehören. Im internationalen QS-Universitätsranking mischt die MDW im Bereich „Performing Arts“ seit Jahren auf den Spitzenrängen mit; 2019 belegte sie gemeinsam mit der Juilliard School in New York den ersten Platz.

Der Campus der MDW befindet sich im dritten Bezirk auf dem Gelände der ehemaligen Veterinärmedizinischen Universität, deren Gebäude die MDW in mehreren Etappen in Besitz nahm und erweiterte. Der Architekt dieser Adaptierung ist Reinhardt Gallister, der den Bestand mit großer Sensibilität umgebaut, teilweise aufgestockt und um leichte, verglaste Pavillons erweitert hat, die eine Mensa, eine Bibliothek und Institutsräume aufnehmen. Wenn es in Wien eine Universität gibt, die einen echten „Campus“ besitzt, dann ist es die MDW, die von ihrer veterinärmedizinischen Vorgängerin eine zentrale Rasenfläche im Zentrum geerbt hat, um die sich die Gebäude locker gruppieren. Der Bauplatz für das neue Institutsgebäude befindet sich an der Südseite dieses Rasenteppichs, dessen Saum mit alten Bäumen bepflanzt ist. Der Neubau definiert den südlichen Abschluss dieser grünen Mitte und ist gleichzeitig ein Passstück zwischen zwei der neuen Pavillons.

Pichler und Traupmann gewannen den Wettbewerb nicht zuletzt wegen der präzisen städtebaulichen Antwort auf diese Situation. Im Gegensatz zu den meisten anderen Beiträgen kam ihr Projekt mit drei oberirdischen Geschoßen aus, die so geschickt ineinander verschachtelt sind, dass jeder Raum das nötige Maß an Höhe bekommt, vom Seminarraum bis zum kleinen Konzertsaal im obersten Geschoß. Dieser markiert den Hochpunkt des Gebäudes, von dem aus sich ein Einschnitt in einer eleganten Sinuskurve ins Gebäude gräbt. Er bringt Licht in die Tiefe des Hauses und erzeugt zugleich eine Terrasse, die den Institutsräumen vorgelagert ist. Tief ist der Baukörper nicht zuletzt wegen seiner kompakten Anlage: Im Kern liegen große, über zwei Normalgeschoße reichende Aufführungs- und Aufnahmeräumen, um die sich kleinere, natürlich belichtete Räume anlagern. Als die Architekten ihr Projekt zum ersten Mal vor den zukünftigen Nutzern vorstellten, gab es einen Eklat. Es stellte sich heraus, dass zwar das Rektorat das Raumprogramm abgesegnet hatte, nicht aber die betroffenen Institutsvorstände. Die Abweichungen zwischen Planung und individuellen Wünschen hätte man noch in den Griff gebracht; als echter Stolperstein erwies sich allerdings die Form der großen Räume für das ELAK; hier hatten die Architekten ihre raumbildende Leitkurve zum Einsatz gebracht, was die Nutzer ablehnten. Weder die Trapezform des kleineren Saals noch die Parabelform des größeren kam für sie infrage. Die Bundesimmobiliengesellschaft zog die Notbremse und erklärte den Wettbewerb „wegen eines überholten Raumprogramms“ für gescheitert.

Nach einer Nachdenkpause wurde 2014 ein neuerlicher Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem zwölf Teilnehmer geladen wurden – und wieder überzeugten Pichler und Traupmann mit einer Modifikation ihres ursprünglichen Projekts. Diesmal gehörten der Jury Rektor und Vizerektorin und alle betroffenen Institutsleiter an. Auch Pichler und Traupmann hatten akustisch dazugelernt und rechtwinkelige Säle geplant, in der Proportion des Goldenen Schnitts, den die Akustiker für die Aufgabe empfohlen hatten. Das Grundkonzept mit akustisch getrenntem Kern und umgebenden Institutsräumen blieb, wie es war, ebenso die Aufteilung mit viel Licht von oben, um eine gute Orientierung zu sichern. Neu im Raumprogramm war ein Filmvorführungssaal im Erdgeschoß an der Haupttreppe, die alle Säle für öffentliche Veranstaltungen verbindet.

Und die Sinuskurve? Die gibt es nach wie vor, und sie erzeugt nicht nur eine Terrasse wie im ersten Projekt, sondern deren zwei, die jeweils dem ersten und dem zweiten Stock zugeordnet sind. Im Detail zeigen sich hier aber doch geometrische Probleme zwischen orthogonalem Kern und gekurvter Hülle, die sich nicht auflösen lassen und in der handwerklichen Umsetzung von Verkleidungen unbarmherzig sichtbar werden. Das betrifft zwar nur einige wenige Stellen, von denen die meisten einem flüchtigen Betrachter nicht auffallen werden; es berührt aber einen prinzipiellen Punkt: Ist es wirklich sinnvoll, ein Bauwerk als organischen Körper zu verstehen, mit Skelett, Organen und Haut, die zusammen eine klare Figur ergeben? Wäre es nicht ausreichend, die nötigen Räume perfekt zu organisieren und zu gestalten, aber die äußere Hülle abschnittsweise zu definieren, ohne alles wieder in ein großes Ganzes zusammenzufassen?

Zum Verständnis lohnt es sich, zwei Fotografien des Hauses zu vergleichen, eines von Toni Rappersperger, das jeden Kontext ausblendet und das Haus als autonomes Objekt darstellt; nur am oberen Rand ragt ein Ast ins Bild. Dass dieser Ast Teil einer Baumgruppe ist, hinter der das Haus nie als Ganzes sichtbar wird, erkennt man auf einem vom zentralen Grünraum aus aufgenommenen Foto von Hertha Hurnaus, das vom Haus nur Bruchstücke erkennen lässt. Das Foto erklärt den Unterschied zwischen einem Haus als Gegenstand und einem Haus als Zustand: Letzteres braucht keine bemühten Rahmungen mehr, um ein organisches Ganzes zu imaginieren; statt sich als klare Figur abzugrenzen, ist es anschlussfähig in alle Richtungen.

Für die Nutzer machen solche Fragen kaum einen Unterschied. Sie haben einen präzise konzipierten, schönen und zukunftsfähigen Schlussstein für ihren Campus erhalten. Zumindest hier hat eine Universitätsleitung erkannt, wie wichtig ein gutes Habitat für den Erfolg ist.

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