Bauwerk

Markthaus
MOSER UND HAGER - Oberösterreich - 2021
Markthaus, Foto: Gregor Graf
Markthaus, Foto: Gregor Graf

Wider den Leerstand

Behutsam wiederbelebt: wie ein Haus aus dem 16. Jahrhundert mit heterogener Bausubstanz gefühlvoll revitalisiert wurde. Das einstige „Löwenwirtshaus“ in Neuhofen, Oberösterreich – ein Bekenntnis zur Arbeit mit Vorgefundenem.

22. Januar 2021 - Romana Ring
Wir haben längst genug gebaut in Österreich. Zahllose Gebäude stehen leer und harren einer angemessenen Nutzung. Dennoch profilieren wir uns nach wie vor europaweit als Spitzenreiter in der Baulandwidmung und alsbaldigen Versiegelung fruchtbarsten Bodens. Der Schaden an der Umwelt, der Lebensqualität und der Versorgungssicherheit aller ist kaum noch auszublenden. Dass allmählich auch außerhalb der seit Jahrzehnten warnenden Fachkreise Problembewusstsein aufkeimt und seitens politischer Entscheidungsträger gute Vorsätze publiziert werden, stimmt vorsichtig optimistisch. Viel mehr Hoffnung aber machen Projekte wie die Revitalisierung eines historischen Gebäudes im Zentrum von Neuhofen an der Krems. Dessen über mehrere Jahre von den in Linz ansässigen Moser und Hager Architekten betriebene Erneuerung ist nun in ihrer ersten Stufe abgeschlossen.

Bis vor wenigen Jahren wurde im Haus Marktplatz 9 ein Gasthaus geführt. Seine urkundlich belegte Geschichte reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Das Haus wurde mehrmals umgeformt und erweitert. Eine der wesentlichsten Veränderungen erfolgte vor etwa 200 Jahren durch den Anbau eines zweigeschoßigen Traktes mit einem 100 Quadratmeter großen Wirtshaussaal, der allerdings in den 1980er-Jahren durch den Einbau von Kleinwohnungen und Fremdenzimmern bis zur Unkenntlichkeit zugestellt wurde. Mit ihrer Wiederbelebung dieser technisch und ästhetisch völlig heterogen gewachsenen Bausubstanz haben sich Moser und Hager Architekten auf einen ungewöhnlichen, ja abenteuerlichen Planungsprozess eingelassen. Mit jeder Bauetappe wurden verborgene historische Elemente freigelegt und wiederhergestellt. Der Entwurf reagierte auf das Entdeckte und war somit einer beständigen, an den Bauablauf gekoppelten Veränderung unterworfen.

Der geschlossenen Häuserfront des Marktplatzes wendet das einstige „Löwenwirtshaus“ nun wieder eine dreigeschoßig erscheinende symmetrische Fassade zu. Eine überwölbte Durchfahrt in der Mitte des Erdgeschoßes wird von zwei breiten Rundbogenfenstern flankiert. Der Haupteingang liegt etwas zurückgesetzt in der Durchfahrt. Während der größte Teil des Erdgeschoßes noch einer Nutzung zugeführt werden muss, haben Moser und Hager Architekten in dem Gewölbe rechts der Durchfahrt eine Filiale ihres Büros eingerichtet. Gleich dahinter steigt eine gewendelte Stiege hinauf in das Erdgeschoß, das, von kleinteiligen Einbauten befreit, nun wieder als Wohnung dient. Nach und nach wurden Bögen, Gewölbe und alte Wandöffnungen freigelegt. Jahrhundertealte Bodendielen, aber auch ein Holz-Kork-Gussboden traten zutage. Sie wurden trotz des staunenden Kopfschüttelns der am Bau beschäftigten Professionisten erhalten und repariert. Die vorgefundenen Kunststofffenster wurden durch neue Kastenfenster aus Holz ersetzt. Der Komfort, den man heute von Wohnräumen erwartet, erforderte eine umfassende haustechnische Ertüchtigung des Gebäudes. Die Heizung erfolgt nun zentral über einen neuen Pellets-Heizkessel, die Elektro- und Sanitärinstallationen wurden erneuert. Auch hier wurde der historischen Substanz gebührender Tribut gezollt: Die Wärme wird nicht über die Fußböden, sondern von Heizkörpern abgegeben, und die Leitungen werden nicht in den Wänden, sondern in bodenebenen Schächten geführt, deren Verlauf durch die Verwendung eines kontrastierenden Belags sichtbar geblieben ist. Denn so wenig es Moser und Hager Architekten bei dieser Revitalisierung um eine Rückführung des Gebäudes auf einen möglichst weit zurückliegenden „Originalzustand“ ging, so wenig ließen sie das große Potenzial des Hauses aus den Augen: seine lange Geschichte und die vielen Lebensentwürfe, die ihm eingeschrieben sind. Die formale Ausbildung ihrer klar im Heute verankerten Eingriffe ist denn auch durchwegs als Antwort auf die historische Substanz von dieser inspiriert.

Einen wichtigen Anker setzt der ehemalige Wirtshaussaal, der nun wieder als multifunktionaler Wohnraum genutzt wird. Insbesondere die an der Decke entdeckte und fachgerecht restaurierte Malerei dient in ihrer Farbigkeit, aber auch in der gehäuften Verwendung des Kreises als Leitmotiv der Gestaltung: Die tiefen Türschwellen in der Wohnung etwa tragen ebenso den in der Decke angeschlagenen Rotton wie der Belag der Kochinsel, während der Kreis vom Zuschnitt zweier verspiegelter Schränke variiert wird. Die deutliche Ablesbarkeit ihrer Interventionen erreichen Moser und Hager Architekten jedoch nie auf Kosten eines harmonischen Ganzen. Die als eigenständige Objekte in einen Raum gesetzten Köper einer Nasszelle und eines Abstellraumes sind mit ihrer politierten Holzoberfläche auf den Korkgussboden abgestimmt. Auch die freigestellte Kochinsel ist in ihrer Materialität eine Fortsetzung des im Saal vorgefundenen Fichtenholzbodens. Selbst die häufig eingesetzten Materialien des Glases und der Spiegelung dienen nicht der Inszenierung des Zeitgenössischen, sondern haben die Aufgabe, Bestehendes zur Geltung zu bringen. Das Bekenntnis zur Arbeit mit dem Vorgefundenen umfasst auch Bauteile neueren Entstehungsdatums, deren ästhetischen Wert man als überschaubar einstufen könnte. Der in den 1980er-Jahren an den historischen Saal gefügte Wintergarten wurde als nützlich befunden, folglich erhalten und um eine in den Hofgarten hinunterführende Stiege aus Cortenstahl ergänzt.

Die Ablagerungen des längst Vergessenen, von Moser und Hager Architekten im skulptural verschnittenen Gewölbe einer einstigen Nagelschmiede oder den impressionistisch anmutenden Schichten übereinanderliegender Wandmalereien aufs Liebevollste konserviert, schenken den Räumen etwas, das so schnell nicht zu erzeugen ist: Unverwechselbarkeit. Vieles spricht dafür, der Revitalisierung von Gebäuden den Vorzug vor Neubauten auf der grünen Wiese zu geben: die Erhaltung bestehender Siedlungsräume, die Nutzung bereits vorhandener Infrastruktur, die umfassende Schonung von Ressourcen. Doch bekanntlich folgt unser Handeln nicht der Ratio allein. Gerade bei Entscheidungen in einem so stark von Technologie, Wirtschaftlichkeit und Funktionalität bestimmten Bereich wie dem Bauen spielt die Emotion eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dem Gefühl aber bieten Häuser wie jenes in Neuhofen eine Heimat – vor allem auf lange Sicht.

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