Bauwerk
Stadthaus Neubaugasse
PSLA Architekten - Wien - 2021
Was ein Hinterhof alles kann
Zu ebener Erde neu bauen und dennoch den Boden entsiegeln: Ein Wohnhaus anstelle eines Lagers in der Wiener Neubaugasse bringt beides auf besonders ausgeklügelte Weise in Einklang.
10. November 2022 - Franziska Leeb
„Die schönste Straße mit nahezu 16.000 Einwohnern ist die Neubauer Hauptstraße“, heißt es über den siebten Wiener Bezirk in einer Geschichte der Wiener Vorstädte aus dem 19. Jahrhundert. Bis heute ist die Neubaugasse so etwas wie die Hauptstraße des Bezirks: In den vergangenen Jahren verkehrsberuhigt und begrünt, behaupten sich hier immer noch nächst der längst von den internationalen Marken in Beschlag genommenen Mariahilfer Straße viele kleine, eigentümergeführte Läden. Die Straße liegt in einer Schutzzone, die historischen Strukturen sind daher noch gut ablesbar. Unter Denkmalschutz stehen sehr wenige Häuser in der Gasse. Er schützt aber ohnedies nicht vor der Abrissbirne – wie sich diesen Sommer beim Abbruch des Biedermeierhauses im Ensemble des Klosters zum göttlichen Heiland in der Kaiserstraße zeigte. Dort erlaubte es die Gesetzeslage, Schutzzone und Denkmalschutz auszuhebeln: Abbruchbewilligung nur „wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht oder sein Bauzustand derart schlecht ist, dass die Instandsetzung technisch unmöglich ist oder nur durch wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen bewirkt werden kann“, steht in der Wiener Bauordnung. Unzumutbar scheint manchen bald etwas zu sein, umso wichtiger wäre es, den Paragrafen schleunigst nachzubessern.
Ein Inserat, das einen Hausteil mit Gartenwohnung in der Neubaugasse zum Verkauf feilbot, lockte neben Investoren auch eine junge Wiener Familie an. Weil die Eigentümerin mehr an einer guten Nachbarschaft als an renditeorientierten Spekulanten interessiert war, bekam die Familie den Zuschlag. Um auszuloten, was im Hoftrakt an Veränderungen möglich ist, wurde als Erstes der Rat der zuständigen Magistratsabteilung 19 und des Bundesdenkmalamtes eingeholt. Das Haus mit einem Kern aus dem 17. Jahrhundert und einer Fassade aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist nicht denkmalgeschützt, wohlgemerkt.
Mikroklima verbessern
Der zur Disposition stehende eingeschoßige Lagertrakt stellte sich als Ergänzung aus der Zwischenkriegszeit heraus, das einfache Ziegelmauerwerk als untauglich, um weitere Belastungen aufzunehmen. Ein Neubau war also möglich. Das beauftragte Architektenduo Lilli Pschill und Ali Seghatoleslami (PSLA Architekten) legte seinen Entwurf mit Bedacht auf die bestehende Stadtstruktur an und mit dem Ziel, Flächen zu entsiegeln, um das Mikroklima zu verbessern.
4,6 Meter schmal und 24 Meter lang, nimmt der Neubau die Gebäudeflucht des bestehenden Hoftraktes und des abgetragenen Lagers auf und fiel zwar etwas kürzer, dafür höher aus als der Bestand. Die Architekten unterteilten den Grundriss in einen Raster von 20 quadratischen Feldern, aus denen sie die dreidimensionale Struktur mit Vor- und Rücksprüngen, unterschiedlich hohen Räumen im Inneren und Terrassen auf allen Niveaus erzeugten. Das ist mehr als eine nette Spielerei, weil so in einer beengten Situation ein Maximum an Licht, Luft, Aus- und Durchblicken sowie Freiraum gewonnen wurde. Innen hat das dreigeschoßige Haus 16 verschiedene Raumlichten, außen zwölf Gebäudehöhen. Der Raster bildet sich auch an der Fassade ab: am Rhythmus der Fenster, die an der Front fixverglast und außen bündig eingesetzt wurden, damit innen mehr Raum bleibt – bei dieser geringen Trakttiefe zählt jeder Zentimeter. Öffenbare Fenster in den Seiten der Einschnitte ermöglichen das Querlüften. Dezent zeichnet sich das zugrunde liegende Quadratformat ebenso am abwechselnd horizontal und vertikal in Besenstrichtechnik strukturierten Putz ab, der in zartem Rosa die Farbe des Bestands aufnimmt. Im Hof blieben alle Bestandsbäume sowie die Kletterpflanzen zur Nachbarliegenschaft erhalten.
Terrassen unter freiem Himmel
Ergänzend kamen Staudenbeete dazu, die eine Distanz zu den ebenerdigen Räumen herstellen, und deren Umrandung aus den Ziegeln des Abbruchs geformt wurde. Die wasserundurchlässige Betonoberfläche wurde durch ein kleinteiliges Pflaster ersetzt, sodass das Regenwasser versickern kann; auf den Dachterrassen wurde die gesamte bebaute Fläche mit Gründächern kompensiert. An einigen Stellen wurde die Substratschicht so hoch ausgebildet, dass sogar Bäume und größere Sträucher gut überleben können. Eine Retentionsschicht speichert das Regenwasser, überschüssiges wird in Kaskaden bis in den versickerungsfähigen Hof abgeführt, sodass wertvolles Nass nur in Ausnahmefällen in den Kanal eingeleitet werden muss; das wird kühlend auf das Mikroklima des Hauses und des Innenhofs einwirken.
Eine „Mischform aus Garten und Haus“ nennen die Architekten ihre Schöpfung; zu ergänzen ist, dass die Abfolge der teils von Attika-Mauern flankierten Gartenterrassen sich wie eine Wohnung unter freiem Himmel anfühlt, deren Räume je nach Lust und Sonnenstand bewohnt werden können. Innen gliedern wenige Schiebetüren und viele Vorhänge die Wohnbereiche, was zahlreiche Szenarien an Offenheit und Intimität ermöglicht und die Vielfalt der Nutzungen erhöht.
Obwohl einzigartig, ist es kein überkandideltes Haus, sondern eines, das die Bedürfnisse der Familie auf entspannte Weise erfüllt. Die Tatsache, dass so etwas in der von Investoren getriebenen Entwicklung des siebten Bezirks möglich ist, entspannt ein wenig und lässt auf Nachahmer hoffen. Zugleich schwingt aber die Sorge mit, dass wie bei den ausgebauten Dachgeschoßen im Windschatten sinnvoller Einzelinitiativen die Investoren entdeckten, wie sich auf den Dächern viel Geld mit schlechter Architektur verdienen lässt. Mögen die Verantwortlichen in Stadt und Bezirk daraus gelernt haben, damit den Hinterhöfen nicht das gleiche Schicksal droht. Es zeichnet sich in der Nachbarschaft schon ab, dass nicht überall eine so sachverständige und sensibel agierende Bauherren- und Architektenschaft am Werk ist.
Ein Inserat, das einen Hausteil mit Gartenwohnung in der Neubaugasse zum Verkauf feilbot, lockte neben Investoren auch eine junge Wiener Familie an. Weil die Eigentümerin mehr an einer guten Nachbarschaft als an renditeorientierten Spekulanten interessiert war, bekam die Familie den Zuschlag. Um auszuloten, was im Hoftrakt an Veränderungen möglich ist, wurde als Erstes der Rat der zuständigen Magistratsabteilung 19 und des Bundesdenkmalamtes eingeholt. Das Haus mit einem Kern aus dem 17. Jahrhundert und einer Fassade aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist nicht denkmalgeschützt, wohlgemerkt.
Mikroklima verbessern
Der zur Disposition stehende eingeschoßige Lagertrakt stellte sich als Ergänzung aus der Zwischenkriegszeit heraus, das einfache Ziegelmauerwerk als untauglich, um weitere Belastungen aufzunehmen. Ein Neubau war also möglich. Das beauftragte Architektenduo Lilli Pschill und Ali Seghatoleslami (PSLA Architekten) legte seinen Entwurf mit Bedacht auf die bestehende Stadtstruktur an und mit dem Ziel, Flächen zu entsiegeln, um das Mikroklima zu verbessern.
4,6 Meter schmal und 24 Meter lang, nimmt der Neubau die Gebäudeflucht des bestehenden Hoftraktes und des abgetragenen Lagers auf und fiel zwar etwas kürzer, dafür höher aus als der Bestand. Die Architekten unterteilten den Grundriss in einen Raster von 20 quadratischen Feldern, aus denen sie die dreidimensionale Struktur mit Vor- und Rücksprüngen, unterschiedlich hohen Räumen im Inneren und Terrassen auf allen Niveaus erzeugten. Das ist mehr als eine nette Spielerei, weil so in einer beengten Situation ein Maximum an Licht, Luft, Aus- und Durchblicken sowie Freiraum gewonnen wurde. Innen hat das dreigeschoßige Haus 16 verschiedene Raumlichten, außen zwölf Gebäudehöhen. Der Raster bildet sich auch an der Fassade ab: am Rhythmus der Fenster, die an der Front fixverglast und außen bündig eingesetzt wurden, damit innen mehr Raum bleibt – bei dieser geringen Trakttiefe zählt jeder Zentimeter. Öffenbare Fenster in den Seiten der Einschnitte ermöglichen das Querlüften. Dezent zeichnet sich das zugrunde liegende Quadratformat ebenso am abwechselnd horizontal und vertikal in Besenstrichtechnik strukturierten Putz ab, der in zartem Rosa die Farbe des Bestands aufnimmt. Im Hof blieben alle Bestandsbäume sowie die Kletterpflanzen zur Nachbarliegenschaft erhalten.
Terrassen unter freiem Himmel
Ergänzend kamen Staudenbeete dazu, die eine Distanz zu den ebenerdigen Räumen herstellen, und deren Umrandung aus den Ziegeln des Abbruchs geformt wurde. Die wasserundurchlässige Betonoberfläche wurde durch ein kleinteiliges Pflaster ersetzt, sodass das Regenwasser versickern kann; auf den Dachterrassen wurde die gesamte bebaute Fläche mit Gründächern kompensiert. An einigen Stellen wurde die Substratschicht so hoch ausgebildet, dass sogar Bäume und größere Sträucher gut überleben können. Eine Retentionsschicht speichert das Regenwasser, überschüssiges wird in Kaskaden bis in den versickerungsfähigen Hof abgeführt, sodass wertvolles Nass nur in Ausnahmefällen in den Kanal eingeleitet werden muss; das wird kühlend auf das Mikroklima des Hauses und des Innenhofs einwirken.
Eine „Mischform aus Garten und Haus“ nennen die Architekten ihre Schöpfung; zu ergänzen ist, dass die Abfolge der teils von Attika-Mauern flankierten Gartenterrassen sich wie eine Wohnung unter freiem Himmel anfühlt, deren Räume je nach Lust und Sonnenstand bewohnt werden können. Innen gliedern wenige Schiebetüren und viele Vorhänge die Wohnbereiche, was zahlreiche Szenarien an Offenheit und Intimität ermöglicht und die Vielfalt der Nutzungen erhöht.
Obwohl einzigartig, ist es kein überkandideltes Haus, sondern eines, das die Bedürfnisse der Familie auf entspannte Weise erfüllt. Die Tatsache, dass so etwas in der von Investoren getriebenen Entwicklung des siebten Bezirks möglich ist, entspannt ein wenig und lässt auf Nachahmer hoffen. Zugleich schwingt aber die Sorge mit, dass wie bei den ausgebauten Dachgeschoßen im Windschatten sinnvoller Einzelinitiativen die Investoren entdeckten, wie sich auf den Dächern viel Geld mit schlechter Architektur verdienen lässt. Mögen die Verantwortlichen in Stadt und Bezirk daraus gelernt haben, damit den Hinterhöfen nicht das gleiche Schicksal droht. Es zeichnet sich in der Nachbarschaft schon ab, dass nicht überall eine so sachverständige und sensibel agierende Bauherren- und Architektenschaft am Werk ist.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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