Bauwerk

Evangelisches Oberstufenrealgymnasium ROSE
schulRAUMkultur - Linz (A) - 2022
Evangelisches Oberstufenrealgymnasium ROSE, Foto: schulRAUMkultur Forschungsplattform

Das überalle Klassenzimmer

Diese Woche war Schulbeginn in Oberösterreich. Das Oberstufengymnasium Rose in der Tabakfabrik Linz ist ein exotischer, mit der Stadt vernetzter Ausreißer. Ein Lokalaugenschein.

17. September 2022 - Wojciech Czaja
Ich war früher in einer HTL für Hoch- und Tiefbau“, sagt Tobias Lammer, 18 Jahre alt, seit wenigen Tagen Schüler in der achten Klasse, „und da war das pädagogische Konzept ganz klar: „Ich Lehrer, ich bin der G’scheite, und ihr Schüler, ihr seids die Depperten.„ So macht Lernen doch keinen Spaß, oder?“ Tobias sitzt auf einer vorgestrig gemusterten Oma-Couch, neben ihm ein übermaltes Nachtkastl aus dem Vintageladen, vor ihm eine Vase mit einer Sonnenblume drin. „Doch dann wurde mir die Rose empfohlen, alles andere als eine klassische, konventionelle Regelschule. Es ist ein pädagogisches Konzept auf Augenhöhe. Und der Raum, der ist richtig cool.“

Rose – das ist die Abkürzung für „Reformpädagogisches Oberstufenrealgymnasium Steyr der Evangelischen Kirche“, und vom S wie Steyr darf man sich nicht irritieren lassen, denn da war die Privatschule bis vor kurzem beheimatet. Vor wenigen Monaten jedoch übersiedelte man nach Linz, genauer gesagt in die ehemalige Tabakfabrik von Peter Behrens und Alexander Popp, einen denkmalgeschützten Industriebau aus den frühen 1930er-Jahren, den ersten Stahlskelettbau Österreichs. Im Erdgeschoß des ehemaligen Zollwarenlagers, des heutigen Haus Havanna, hat sich die Rose auf nunmehr 675 Quadratmetern eingemietet. Und zwar so richtig cool.

Über ein paar Stufen gelangt man vom Innenhof der Tabakfabrik auf eine vorgelagerte Terrasse, von dort in ein riesiges Loft, das lediglich von ein paar gläsernen Trennwänden und simplen Tischlereinbauten aus Schichtsperrholz mehr atmosphärisch denn akustisch zoniert und gegliedert wird. Dazwischen immer wieder Bauernschränke, Ohrenfauteuils, Thonet-Sessel und diverse Kleinmöbel, die das Mid-Century-Herz höherschlagen lassen. Es ist, als würde man einen Coworking-Space oder eine abgerockte Berliner Werbeagentur durchschreiten.

Keine Sonderräume

Erster Schultag im neuen Wintersemester 2022: Rund hundert Schülerinnen und Schüler sind heute in die Rose gekommen, manche mit besonderen Bedürfnissen, andere mit besonderen Talenten. Sie lümmeln gemütlich in der Ecke, tragen Hoodies mit der Aufschrift „Out of space“, so wie Tobias, sitzen auf den Tischen, lesen, lernen, trinken, essen, erzählen sich Highlights aus den Sommerferien, besprechen die morgige Klassensprecherwahl, stimmen gerade über die Schulordnung fürs kommende Semester ab, und auch über die Lernaufträge, die bis Ende September erfüllt werden müssen. Man muss schon genauer hinschauen, um in der Menge der Jugendlichen den sogenannten Lehrkörper auszumachen.

Doch irgendetwas fehlt. Und bald wird man feststellen: Die Rose hat keine Aula, keine Direktion, kein Lehrerzimmer, keine Bibliothek, keinen Festsaal, keinen Musiksaal, keinen Zeichensaal, keinen Werkerziehungssaal, keinen Turnsaal, keinen Speisesaal, keinen Chemiesaal für gefährliche H2 SO4 -Experimente. „Und genau das ist der Grund“, meint Michael Zinner, Schulraumforscher und Vorstandsmitglied im Evangelischen Schulerhalterverein der Rose, „warum wir uns für diesen besonderen Standort in der Tabakfabrik entschieden haben.“

Denn anstatt die Schule mit all diesen kostspieligen und die überwiegende Zeit ungenutzten Sonderräumen auszustatten, was im Rahmen der monatlichen Schulgelder ohne Großsponsor auch gar nicht finanzierbar gewesen wäre, gibt es Nutzungsvereinbarungen und Vereinsmitgliedschaften mit den benachbarten, in die Tabakfabrik eingemieteten Start-ups, Maker-Spaces, Unternehmen, Institutionen und universitären Bildungseinrichtungen.

In der Grand Garage können die Jugendlichen auf Fotostudios, Werkstätten, Hightech-Labore, Computerarbeitsplätze und 3D-Drucker zurückgreifen. Größere Technologieprojekte gehen an der Johannes-Kepler-Universität und im Ars Electronica Center über die Bühne. Die Modeklasse der Kunstuniversität Linz stellt ihre Studios und Textilateliers zur Verfügung. Im Festsaal der Tabakfabrik und des benachbarten Kulturhofs können größere Veranstaltungen stattfinden. Das Mittagessen kommt auf Wunsch von einem der vielen Lokale am Areal im Riesenkochtopf angerollt. Und zum Turnen gehen die Jugendlichen ins Martial-Arts-Studio nebenan, in die Pädagogische Hochschule oder einfach nur über den Zebrastreifen an die Donau.

Omniloziertes Lernen

„Wir sind zwar eine kleine, einfache Schule“, sagt Zinner, der nebenbei das architektonische Herzstück geplant und die ökologiezertifizierten Holzmöbel und Raum-in-Raum-Module entworfen hat, Gesamtinvestitionsvolumen 240.000 Euro, ein absolutes Low-Budget-Projekt, das sich nur ausgegangen ist, weil ein paar Eltern Tische zusammengeschraubt und Holzoberflächen eingeölt haben. „Aber dafür sind wir umgeben vom schönsten Klassenzimmer, das man sich nur vorstellen kann, mit bester technischer Infrastruktur und vielen tollen Synergieeffekten. Aus dem dislozierten Unterrichten wird ein omniloziertes Lernen.“

In der heutigen Gesellschaft, sagt Ulrike Schmidt-Zachl, pädagogische Leiterin der Rose, die unter anderem von der Future-Wings-Privatstiftung unterstützt wird und die sich an der renommierten Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ) orientiert, gebe es einen enormen Bedarf an Veränderung. „Mit unserem räumlichen, funktionalen und pädagogischen Konzept kriegen die Schülerinnen und Schüler jeden Tag hautnah mit, wie Vernetzung, wie Kooperation, wie Kollaboration, wie städtische Gesellschaft und wie Kommunikation auf Augenhöhe funktionieren. Wenn sie das lernen und in ihrem späteren Berufsleben umsetzen und weiterentwickeln, dann haben wir schon viel erreicht.“

Charlie, ein Labradormischling, einer von insgesamt drei Schulhunden, die hier den ganzen Schultag genüsslich auf und ab spazieren, hat es sich gerade gemütlich gemacht, will von Mirjam Katzensteiner, Maturaklasse, offenbar am Kopf gestreichelt werden. „Im Biologieunterricht“, sagt sie, „haben wir letztes Semester Augen seziert und wochenlang den Verschimmelungsprozess von Toastbrot analysiert und dokumentiert. Wo gibt es das schon! Dafür haben wir halt keine Klassenräume mit Tür, es kann ganz schön laut werden, und manchmal geht’s ein bissl chaotisch zu. Na und!“

Die Rose, ein dritter Pädagoge mit Schönheit und Stachel, irgendwie „out of space“. Besser kann man Schule nicht machen.

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