Veranstaltung
Felsen aus Beton und Glas
Ausstellung
26. August 2006 bis 5. November 2006
Deutsches Architekturmuseum
Schaumainkai 43
D-60596 Frankfurt am Main
Schaumainkai 43
D-60596 Frankfurt am Main
Eröffnung: Freitag, 25. August 2006, 19:00 Uhr
Kirchen und Hallen
Der Architekt Gottfried Böhm - eine Ausstellung in Frankfurt
Seit sechzig Jahren prägt der 1920 geborene und in Köln ansässige Architekt Gottfried Böhm das deutsche Baugeschehen. Nun zeigt das DAM in Frankfurt eine Retrospektive seines Schaffens.
19. September 2006 - Hubertus Adam
Im Kontext der deutschen Architekturszene ist Gottfried Böhm in mancherlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Er ist der einzige Architekt des Landes, der (im Jahr 1986) den hochangesehenen Pritzker-Preis erhalten hat. Dennoch beschränkt sich sein umfangreiches uvre nahezu ausnahmslos auf Deutschland. Weiter ist Böhm Mitglied einer Architektendynastie: Sein Vater Dominikus gilt als Hauptvertreter des expressionistischen Sakralbaus in der Zeit der Weimarer Republik, und architektonisch tätig sind auch seine Frau Elisabeth sowie die drei Söhne Stephan, Peter und Paul.
Boomjahre des Sakralbaus
Gemeinsam mit dem Nachlass von Dominikus Böhm, dem im vergangenen Jahr eine Schau gewidmet wurde, hat das Deutsche Architektur- Museum auch das Büroarchiv von Gottfried Böhm mit seinen insgesamt 27 000 Objekten erwerben können. Ein kleineres Konvolut, das vor allem die Zeit bis 1970 umfasst, war schon zuvor an das Historische Archiv der Stadt Köln gelangt. Auch wenn somit die Dokumentation der früheren Jahre Lücken aufweist, fallen diese in der jetzigen Retrospektive kaum ins Gewicht. Wolfgang Voigt, der stellvertretende Direktor des DAM und seit Jahren für die historischen Ausstellungen verantwortlich, führt die Besucher in 30 Stationen durch die Schau, die unter dem Titel «Felsen aus Beton und Glas» mehr als sechzig Schaffensjahre widerspiegelt. Gottfried Böhms erster Bau war die Kapelle «Madonna in den Trümmern» in den Ruinen der kriegszerstörten Kirche St. Kolumba in Kölns Innenstadt. Der filigrane achteckige Bau (1947-50) mit dem leichten Betongewölbe über einer Unterkonstruktion aus Eisengewebe ist eine Inkunabel des deutschen Wiederaufbaus und wird derzeit von Peter Zumthor in das neue Kölner Diözesanmuseum integriert.
Die fünfziger Jahre - 1955 übernahm Böhm das Architekturbüro des verstorbenen Vaters - werden in Frankfurt zu Recht als Zeit des Experimentierens dargestellt. Wesentliche Impulse vermittelte 1951 eine halbjährige Studienreise in die USA, während deren Böhm mit Walter Gropius und Mies van der Rohe zusammentraf. Das eigene Wohnhaus, kurz darauf in Köln entstanden, zeigt die Faszination eines modernen Rationalismus. Doch Böhms eigentliche Domäne waren die Kirchen. 39 Sakralbauten konnte der Architekt allein bis 1959 realisieren. Die erdenschwere Monumentalität, welche die Kirchen seines Vaters bestimmte, wich konstruktiver Leichtigkeit. In ständig neuen Varianten widmete sich Gottfried Böhm den Dach- und Tragwerk-Konstruktionen: Schalen und Faltwerke, Hängedächer, Membrandecken und Zeltstrukturen wechseln ab; die Volumina gewinnen an materieller Kraft, nähern sich dann dem Brutalismus.
In den Bauten der sechziger Jahre kulminiert die Recherche des Architekten in der grandiosen Wallfahrtskirche Neviges (1966-68) im Bergischen Land. Über einem polygonalen Grundriss, der von einem Kranz von Kapellen umgeben ist, erhebt sich ein schroff aufgipfelndes Zeltgebirge aus sandgestrahltem Sichtbeton. Die kristallinen Visionen des Expressionismus, welche in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen des technisch Machbaren sprengten, fanden ihren Widerhall - wenn auch im Schoss der katholischen Kirche. Doch auch im profanen Bereich widmete sich Böhm der Vision einer Stadtkrone, am überzeugendsten beim Rathaus von Bensberg (1962-67). In das von einer Ringmauer vorgegebene Oval einer Burgruine integrierte er die neue Baumasse, die von einem skulptural sich aufgipfelnden Treppenturm als Pendant zu den historischen Türmen überragt wird.
Struktur und Glashaus
Die kristallin-neoexpressionistischen Arbeiten der sechziger Jahre mag man als den eigentlichen Höhepunkt ansehen. Doch die Schalungsarbeiten für den Beton erwiesen sich als so aufwendig, dass Böhm neue Konstruktionsweisen erproben musste. Er fand sie in präfabrizierbaren Strukturen, etwa für die als Zeltstadt aus Metall verwirklichte Wallfahrtskirche Wigratzbad (1972-76).
Seit dem Umbau der Godesburg hatte sich Böhm mit profanen Bauaufgaben auseinandergesetzt; sie rückten ins Zentrum seiner Aktivitäten, als die kirchlichen Aufträge um 1970 zu versiegen begannen. Einige Entwürfe folgen dem architektonischen Strukturalismus der Zeit - etwa ein Konzept für die Neuorganisation des Bonner Regierungsviertels oder Wettbewerbsentwürfe für die neu gegründeten Universitäten in Bielefeld und Dortmund. Mit grossen Erschliessungshallen verfolgte Gottfried Böhm ein Konzept, das sich fortan durch sein Werk ziehen sollte und das Voigt als «eingehausten Stadtraum» tituliert. Böhm war einer der Ersten, die den verglasten Innenraum, wie man ihn in den USA schon kannte, nach Deutschland importierten; mal bekam er die Form eines Atriums, mal die einer Passage. Die Hauptverwaltung der Firma Züblin bei Stuttgart (1981-85) wirkt wie ein gigantisches Glashaus mit zwei seitlichen Büroflügeln. Auch wenn die Halle heute ästhetisch befremdlich wirkt, so hatte der Architekt doch das überzeugend geschaffen, was sich die Firma wünschte: ein kostengünstiges, ökologisch vorbildliches Beispiel für eine auf Fertigteilen beruhende Verwendung von Beton.
Qualitätssprünge im Spätwerk
Nicht alle Gebäude der späteren Jahre überzeugen: Der Sitz der Deutschen Bank in Luxemburg wirkt etwas ungeschlacht, die Steintorgalerie in Hannover verblasst neben Fritz Högers Anzeiger- Hochhaus, und die WDR-Arkaden in Köln zeugen von einem eher vordergründigen Flirt mit dem Dekonstruktivismus. Doch es gelingt Böhm immer wieder, auf intelligente, selbstbewusste, aber sensible Weise Alt und Neu zu versöhnen. Jüngere Beispiele hierfür sind der in Glas nachgebildete Mittelrisalit des Schlosses von Saarbrücken (1981-89) oder die Stadtbibliothek neben dem Ulmer Rathaus (1998-2004). Interessant ist die schon 1987/88 im Auftrag der Bundesregierung erarbeitete Studie für den Umbau des Reichstagsgebäudes von Paul Wallot in Berlin. Böhm legte den Plenarsaal höher, um den Nachkriegs-Wiederaufbau von Paul Baumgarten zu erhalten, und bekrönte das Gebäude mit einer transparenten, für die Öffentlichkeit begehbaren Kuppel - ein Gedanke, der im ausgeführten Projekt von Norman Foster wiederkehren sollte. Die Auseinandersetzung mit Kuppel- und Schalenstrukturen prägt auch Böhms jüngstes Werk, das soeben eingeweihte Hans-Otto-Theater in Potsdam.
Ein Genuss ist die materialreiche Ausstellung schon aufgrund des zeichnerischen Talents, das Gottfried Böhm von seinem Vater geerbt zu haben scheint. Aktualität besitzt Böhms Architektur auch aufgrund ihrer Gefährdungen - nicht in erster Linie wegen des bedenklichen Zustands mancher Betonbauten, sondern wegen der Profanierung von Kirchen in Folge schwindender Mitgliederzahlen. So wurde ein Bau in Hürth-Kalscheuren als Showroom zweckentfremdet. Nächste Kandidatin dürfte St. Gertrud in Köln (1961-65) sein, eine Kirche, die gleichsam als Vorstufe zum Betonmassiv von Neviges zu verstehen ist.
[ Bis 5. November. Katalog: Gottfried Böhm. Hrsg. von Wolfgang Voigt. Jovis-Verlag, Berlin 2006. 272 S., Euro 32.-. ]
Boomjahre des Sakralbaus
Gemeinsam mit dem Nachlass von Dominikus Böhm, dem im vergangenen Jahr eine Schau gewidmet wurde, hat das Deutsche Architektur- Museum auch das Büroarchiv von Gottfried Böhm mit seinen insgesamt 27 000 Objekten erwerben können. Ein kleineres Konvolut, das vor allem die Zeit bis 1970 umfasst, war schon zuvor an das Historische Archiv der Stadt Köln gelangt. Auch wenn somit die Dokumentation der früheren Jahre Lücken aufweist, fallen diese in der jetzigen Retrospektive kaum ins Gewicht. Wolfgang Voigt, der stellvertretende Direktor des DAM und seit Jahren für die historischen Ausstellungen verantwortlich, führt die Besucher in 30 Stationen durch die Schau, die unter dem Titel «Felsen aus Beton und Glas» mehr als sechzig Schaffensjahre widerspiegelt. Gottfried Böhms erster Bau war die Kapelle «Madonna in den Trümmern» in den Ruinen der kriegszerstörten Kirche St. Kolumba in Kölns Innenstadt. Der filigrane achteckige Bau (1947-50) mit dem leichten Betongewölbe über einer Unterkonstruktion aus Eisengewebe ist eine Inkunabel des deutschen Wiederaufbaus und wird derzeit von Peter Zumthor in das neue Kölner Diözesanmuseum integriert.
Die fünfziger Jahre - 1955 übernahm Böhm das Architekturbüro des verstorbenen Vaters - werden in Frankfurt zu Recht als Zeit des Experimentierens dargestellt. Wesentliche Impulse vermittelte 1951 eine halbjährige Studienreise in die USA, während deren Böhm mit Walter Gropius und Mies van der Rohe zusammentraf. Das eigene Wohnhaus, kurz darauf in Köln entstanden, zeigt die Faszination eines modernen Rationalismus. Doch Böhms eigentliche Domäne waren die Kirchen. 39 Sakralbauten konnte der Architekt allein bis 1959 realisieren. Die erdenschwere Monumentalität, welche die Kirchen seines Vaters bestimmte, wich konstruktiver Leichtigkeit. In ständig neuen Varianten widmete sich Gottfried Böhm den Dach- und Tragwerk-Konstruktionen: Schalen und Faltwerke, Hängedächer, Membrandecken und Zeltstrukturen wechseln ab; die Volumina gewinnen an materieller Kraft, nähern sich dann dem Brutalismus.
In den Bauten der sechziger Jahre kulminiert die Recherche des Architekten in der grandiosen Wallfahrtskirche Neviges (1966-68) im Bergischen Land. Über einem polygonalen Grundriss, der von einem Kranz von Kapellen umgeben ist, erhebt sich ein schroff aufgipfelndes Zeltgebirge aus sandgestrahltem Sichtbeton. Die kristallinen Visionen des Expressionismus, welche in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen des technisch Machbaren sprengten, fanden ihren Widerhall - wenn auch im Schoss der katholischen Kirche. Doch auch im profanen Bereich widmete sich Böhm der Vision einer Stadtkrone, am überzeugendsten beim Rathaus von Bensberg (1962-67). In das von einer Ringmauer vorgegebene Oval einer Burgruine integrierte er die neue Baumasse, die von einem skulptural sich aufgipfelnden Treppenturm als Pendant zu den historischen Türmen überragt wird.
Struktur und Glashaus
Die kristallin-neoexpressionistischen Arbeiten der sechziger Jahre mag man als den eigentlichen Höhepunkt ansehen. Doch die Schalungsarbeiten für den Beton erwiesen sich als so aufwendig, dass Böhm neue Konstruktionsweisen erproben musste. Er fand sie in präfabrizierbaren Strukturen, etwa für die als Zeltstadt aus Metall verwirklichte Wallfahrtskirche Wigratzbad (1972-76).
Seit dem Umbau der Godesburg hatte sich Böhm mit profanen Bauaufgaben auseinandergesetzt; sie rückten ins Zentrum seiner Aktivitäten, als die kirchlichen Aufträge um 1970 zu versiegen begannen. Einige Entwürfe folgen dem architektonischen Strukturalismus der Zeit - etwa ein Konzept für die Neuorganisation des Bonner Regierungsviertels oder Wettbewerbsentwürfe für die neu gegründeten Universitäten in Bielefeld und Dortmund. Mit grossen Erschliessungshallen verfolgte Gottfried Böhm ein Konzept, das sich fortan durch sein Werk ziehen sollte und das Voigt als «eingehausten Stadtraum» tituliert. Böhm war einer der Ersten, die den verglasten Innenraum, wie man ihn in den USA schon kannte, nach Deutschland importierten; mal bekam er die Form eines Atriums, mal die einer Passage. Die Hauptverwaltung der Firma Züblin bei Stuttgart (1981-85) wirkt wie ein gigantisches Glashaus mit zwei seitlichen Büroflügeln. Auch wenn die Halle heute ästhetisch befremdlich wirkt, so hatte der Architekt doch das überzeugend geschaffen, was sich die Firma wünschte: ein kostengünstiges, ökologisch vorbildliches Beispiel für eine auf Fertigteilen beruhende Verwendung von Beton.
Qualitätssprünge im Spätwerk
Nicht alle Gebäude der späteren Jahre überzeugen: Der Sitz der Deutschen Bank in Luxemburg wirkt etwas ungeschlacht, die Steintorgalerie in Hannover verblasst neben Fritz Högers Anzeiger- Hochhaus, und die WDR-Arkaden in Köln zeugen von einem eher vordergründigen Flirt mit dem Dekonstruktivismus. Doch es gelingt Böhm immer wieder, auf intelligente, selbstbewusste, aber sensible Weise Alt und Neu zu versöhnen. Jüngere Beispiele hierfür sind der in Glas nachgebildete Mittelrisalit des Schlosses von Saarbrücken (1981-89) oder die Stadtbibliothek neben dem Ulmer Rathaus (1998-2004). Interessant ist die schon 1987/88 im Auftrag der Bundesregierung erarbeitete Studie für den Umbau des Reichstagsgebäudes von Paul Wallot in Berlin. Böhm legte den Plenarsaal höher, um den Nachkriegs-Wiederaufbau von Paul Baumgarten zu erhalten, und bekrönte das Gebäude mit einer transparenten, für die Öffentlichkeit begehbaren Kuppel - ein Gedanke, der im ausgeführten Projekt von Norman Foster wiederkehren sollte. Die Auseinandersetzung mit Kuppel- und Schalenstrukturen prägt auch Böhms jüngstes Werk, das soeben eingeweihte Hans-Otto-Theater in Potsdam.
Ein Genuss ist die materialreiche Ausstellung schon aufgrund des zeichnerischen Talents, das Gottfried Böhm von seinem Vater geerbt zu haben scheint. Aktualität besitzt Böhms Architektur auch aufgrund ihrer Gefährdungen - nicht in erster Linie wegen des bedenklichen Zustands mancher Betonbauten, sondern wegen der Profanierung von Kirchen in Folge schwindender Mitgliederzahlen. So wurde ein Bau in Hürth-Kalscheuren als Showroom zweckentfremdet. Nächste Kandidatin dürfte St. Gertrud in Köln (1961-65) sein, eine Kirche, die gleichsam als Vorstufe zum Betonmassiv von Neviges zu verstehen ist.
[ Bis 5. November. Katalog: Gottfried Böhm. Hrsg. von Wolfgang Voigt. Jovis-Verlag, Berlin 2006. 272 S., Euro 32.-. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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