Veranstaltung
Zerstörung der Gemütlichkeit?
Ausstellung
10. Februar 2007 bis 28. Mai 2007
Vitra Design Museum
Charles-Eames-Strasse 1
D-79576 Weil am Rhein
Charles-Eames-Strasse 1
D-79576 Weil am Rhein
Veranstalter:in: Vitra Design Museum
Design fürs Leben
Die ideale Wohnung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein
Der Traum vom schönen Wohnen prägte das 20. Jahrhundert. Unter dem Titel «Die Zerstörung der Gemütlichkeit?» zeigt nun das Vitra Design Museum in Weil am Rhein die Entwicklung von Wohn- visionen am Beispiel von sechzehn legendären Wohn- und Design-Ausstellungen.
17. Februar 2007 - Lutz Windhöfel
Im Jahre 1895 wurde in Leipzig erstmals eine Mustermesse durchgeführt - ein neuer Messetyp, den die boomende Industrie des späten 19. Jahrhunderts zur Warenschau ihrer Produktepalette benötigte und der 1917 mit der Mustermesse Basel auch in der Schweiz Einzug hielt. Die Wirtschaft interessierte sich für Ästhetik, und beide waren Teil der lebensreformerischen Bewegung um 1900 und ihres pädagogischen Impulses: der Veränderung des menschlichen Bewusstseins durch das Phänomen des Bauens und Wohnens. Der «industrialisierte» Mensch sollte durch seine im Alltag gebrauchten Textilien, seine Möbel, sein Besteck, Geschirr und Glas oder seine Lichtkörper zu einem gewandelten, bewussteren und gesünderen Umgang mit sich selbst und seiner sozialen Umwelt erzogen werden. Die Kunst sollte von nun an ins Leben kommen.
Inszenierte Wohnfragmente
Als man 1901 in Darmstadt unter dem Titel «Ein Dokument deutscher Kunst» die heute legendäre Mathildenhöhe eröffnete, gab es das Medium Radio noch nicht, das Telefon war noch eine Rarität, und in den Städten war die Elektrifizierung der Strassenbeleuchtung im Gang. Aber schon damals wurden industriell, halbindustriell oder noch immer handwerklich produzierte Alltags- und Haushaltgegenstände unter dem Dach der Architektur vereint und wurde nach einem ästhetischen Nenner gesucht. Die Architekten Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens hatten dort neun elegante Einfamilienhäuser gebaut, dazu ein grosses Gemeinschaftshaus mit Turm, Künstlerhaus genannt, und andere Baulichkeiten mehr. Den Stil benannte man nach der in München erscheinenden Zeitschrift «Die Jugend». Und der «Jugendstil» in Architektur und in sogenannt formschön gestalteten Industrieprodukten (welche man später als «Design» bezeichnen sollte) wurde bis zur ersten grossen Katastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg, in Darmstadt und Wien, in St. Petersburg und Brüssel, in Paris, Nancy und Edinburg, in Budapest, Prag und Helsinki, aber auch in St. Gallen, Zürich, Bern und Basel, in Genf, La Chaux-de-Fonds und Lausanne zum Dernier Cri.
Die visuelle Geschichte dieser Entwicklung von industrieller Formgebung und Mode am Beispiel des Sitzmöbels und der Lampe erzählt nun eine Ausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Unter dem Titel «Die Zerstörung der Gemütlichkeit?» hat man aus der beträchtlichen Zahl von Wohn- und Design-Ausstellungen im 20. Jahrhundert sechzehn ausgewählt, die zwischen 1901 und 1993 in Westeuropa und Nordamerika zu sehen waren. Im Museumsbau von Frank Gehry hat Jochen Eisenbrand nicht die Ereignisse rekonstruiert, sondern Fragmente inszeniert: Zu sehen sind historische Fotos und Dokumente, Kunstobjekte und - die Ausstellung dominierend - Stühle, Liegen, Sessel und Lampen aus der hauseigenen Sammlung. Ergänzt werden sie um bedeutende Leihgaben wie den Speisezimmerstuhl aus Peter Behrens' Haus auf der Mathildenhöhe (1900/01). Die Reise durch neun Jahrzehnte führt von Darmstadt nach Wien, Stuttgart, Paris und New York, nach Detroit, Basel («Die gute Form», 1949) und Chicago, nach Leverkusen, nach Mailand, Düsseldorf, Frankfurt am Main und nach Berlin. Etwa die Hälfte der gezeigten Ausstellungen zum vorbildlichen Wohnen fand bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, der Rest seither statt.
Die vier Säle des Design-Museums wurden von Gehry einst zwar eigens für die Vitra-Stuhl- Sammlung konzipiert. Doch sie zeigen auch bei dieser Schau ihre Qualitäten. Auf einer rhythmischen Ausstellungsarchitektur aus Boden- und Wandpodesten, auf vertikal oder treppenförmig gereihten Konsolen, die wie Minimal-Plastiken von Donald Judd den Präsentationsraum bis in oberste Zonen der expressiven Architektur erweitern, sind die Stühle, Sessel, Wandmöbel und Kunstobjekte von Peter Behrens, Josef Hoffmann, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe, von Verner Panton, Joe Colombo, Ettore Sottsass und Florence Knoll, von Charles Eames, Eero Saarinen, Alvar Aalto und Jasper Morrison, von Philippe Starck, Ron Arad und Cesare Casati in Form eines anarchisch wirkenden, aber sorgfältig komponierten Setzkastens auf die Wände und Böden verteilt. In Zwischenzonen gibt es kleinere räumliche Arrangements mit Tischen und Lampen wie den kaum bekannten Leuchten von Adolf Meyer und Poul Henningsen, die 1927 in Stuttgart bei der Eröffnung der Weissenhofsiedlung in der Ausstellung «Die Wohnung» gezeigt wurden. Die elektronische Welt hatte in den späten sechziger Jahren mit den anlässlich der Kölner Möbelmesse auf einem umgebauten Schiff veranstalteten «Visiona»-Ausstellungen (1968 bis 1970) ihren Auftritt in der Design-Vermittlung. Und entsprechend den damaligen - von der Pop- Art inspirierten - Wohnlandschaften kann man sich dazu in Weil am Rhein Filmclips im Liegen auf hängenden Monitoren anschauen.
Kunst und Alltag
Vier wichtige Ausstellungen aus neuerer Zeit - «Italy, The New Domestic Landscape» (1972 im MoMa in New York), «Gefühlscollagen: Wohnen von Sinnen» (1986 im Kunstmuseum Düsseldorf), «Some New Items for the Home» (1988 in der DAAD-Galerie in Berlin) und «Droog Design» (1993 auf der Möbelmesse Mailand) - bilden den chronologischen Abschluss der Weiler Schau. Die Sitz- und Wohngeräte aus Kunststoff, Metall, Holz und Beton wirken verspielt, streng und provokant. Das Ziel ihrer anthropologischen Nutzung umkreisen sie zwischen völliger Loslösung und fokussierter Annäherung. Dazu passt das zum Auftakt der Ausstellung am Museumseingang gezeigte Dokumentationsvideo «Kleine Ereignisse» von Roman Signer: Auf einer sattgrünen Bergwiese in Zuoz im Oberengadin hatte der Appenzeller Explosionsvirtuose 1996 alte Polstermöbel als Kinobestuhlung arrangiert und den Zuschauern des Happenings lärmschützende Helme verpasst. Ausstellungsbesucher aus Beirut oder Bagdad könnten Signers Kunst für eine CNN-Übertragung aus ihrer gegenwärtigen Lebenswelt halten. - So hatten sich die Lebensreformer um das Jahr 1900 die Verbindung von Kunst und Leben nicht vorgestellt.
[ Bis 28. Mai im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Die Begleitbroschüre kostet Euro 4.50. ]
Inszenierte Wohnfragmente
Als man 1901 in Darmstadt unter dem Titel «Ein Dokument deutscher Kunst» die heute legendäre Mathildenhöhe eröffnete, gab es das Medium Radio noch nicht, das Telefon war noch eine Rarität, und in den Städten war die Elektrifizierung der Strassenbeleuchtung im Gang. Aber schon damals wurden industriell, halbindustriell oder noch immer handwerklich produzierte Alltags- und Haushaltgegenstände unter dem Dach der Architektur vereint und wurde nach einem ästhetischen Nenner gesucht. Die Architekten Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens hatten dort neun elegante Einfamilienhäuser gebaut, dazu ein grosses Gemeinschaftshaus mit Turm, Künstlerhaus genannt, und andere Baulichkeiten mehr. Den Stil benannte man nach der in München erscheinenden Zeitschrift «Die Jugend». Und der «Jugendstil» in Architektur und in sogenannt formschön gestalteten Industrieprodukten (welche man später als «Design» bezeichnen sollte) wurde bis zur ersten grossen Katastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg, in Darmstadt und Wien, in St. Petersburg und Brüssel, in Paris, Nancy und Edinburg, in Budapest, Prag und Helsinki, aber auch in St. Gallen, Zürich, Bern und Basel, in Genf, La Chaux-de-Fonds und Lausanne zum Dernier Cri.
Die visuelle Geschichte dieser Entwicklung von industrieller Formgebung und Mode am Beispiel des Sitzmöbels und der Lampe erzählt nun eine Ausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Unter dem Titel «Die Zerstörung der Gemütlichkeit?» hat man aus der beträchtlichen Zahl von Wohn- und Design-Ausstellungen im 20. Jahrhundert sechzehn ausgewählt, die zwischen 1901 und 1993 in Westeuropa und Nordamerika zu sehen waren. Im Museumsbau von Frank Gehry hat Jochen Eisenbrand nicht die Ereignisse rekonstruiert, sondern Fragmente inszeniert: Zu sehen sind historische Fotos und Dokumente, Kunstobjekte und - die Ausstellung dominierend - Stühle, Liegen, Sessel und Lampen aus der hauseigenen Sammlung. Ergänzt werden sie um bedeutende Leihgaben wie den Speisezimmerstuhl aus Peter Behrens' Haus auf der Mathildenhöhe (1900/01). Die Reise durch neun Jahrzehnte führt von Darmstadt nach Wien, Stuttgart, Paris und New York, nach Detroit, Basel («Die gute Form», 1949) und Chicago, nach Leverkusen, nach Mailand, Düsseldorf, Frankfurt am Main und nach Berlin. Etwa die Hälfte der gezeigten Ausstellungen zum vorbildlichen Wohnen fand bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, der Rest seither statt.
Die vier Säle des Design-Museums wurden von Gehry einst zwar eigens für die Vitra-Stuhl- Sammlung konzipiert. Doch sie zeigen auch bei dieser Schau ihre Qualitäten. Auf einer rhythmischen Ausstellungsarchitektur aus Boden- und Wandpodesten, auf vertikal oder treppenförmig gereihten Konsolen, die wie Minimal-Plastiken von Donald Judd den Präsentationsraum bis in oberste Zonen der expressiven Architektur erweitern, sind die Stühle, Sessel, Wandmöbel und Kunstobjekte von Peter Behrens, Josef Hoffmann, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe, von Verner Panton, Joe Colombo, Ettore Sottsass und Florence Knoll, von Charles Eames, Eero Saarinen, Alvar Aalto und Jasper Morrison, von Philippe Starck, Ron Arad und Cesare Casati in Form eines anarchisch wirkenden, aber sorgfältig komponierten Setzkastens auf die Wände und Böden verteilt. In Zwischenzonen gibt es kleinere räumliche Arrangements mit Tischen und Lampen wie den kaum bekannten Leuchten von Adolf Meyer und Poul Henningsen, die 1927 in Stuttgart bei der Eröffnung der Weissenhofsiedlung in der Ausstellung «Die Wohnung» gezeigt wurden. Die elektronische Welt hatte in den späten sechziger Jahren mit den anlässlich der Kölner Möbelmesse auf einem umgebauten Schiff veranstalteten «Visiona»-Ausstellungen (1968 bis 1970) ihren Auftritt in der Design-Vermittlung. Und entsprechend den damaligen - von der Pop- Art inspirierten - Wohnlandschaften kann man sich dazu in Weil am Rhein Filmclips im Liegen auf hängenden Monitoren anschauen.
Kunst und Alltag
Vier wichtige Ausstellungen aus neuerer Zeit - «Italy, The New Domestic Landscape» (1972 im MoMa in New York), «Gefühlscollagen: Wohnen von Sinnen» (1986 im Kunstmuseum Düsseldorf), «Some New Items for the Home» (1988 in der DAAD-Galerie in Berlin) und «Droog Design» (1993 auf der Möbelmesse Mailand) - bilden den chronologischen Abschluss der Weiler Schau. Die Sitz- und Wohngeräte aus Kunststoff, Metall, Holz und Beton wirken verspielt, streng und provokant. Das Ziel ihrer anthropologischen Nutzung umkreisen sie zwischen völliger Loslösung und fokussierter Annäherung. Dazu passt das zum Auftakt der Ausstellung am Museumseingang gezeigte Dokumentationsvideo «Kleine Ereignisse» von Roman Signer: Auf einer sattgrünen Bergwiese in Zuoz im Oberengadin hatte der Appenzeller Explosionsvirtuose 1996 alte Polstermöbel als Kinobestuhlung arrangiert und den Zuschauern des Happenings lärmschützende Helme verpasst. Ausstellungsbesucher aus Beirut oder Bagdad könnten Signers Kunst für eine CNN-Übertragung aus ihrer gegenwärtigen Lebenswelt halten. - So hatten sich die Lebensreformer um das Jahr 1900 die Verbindung von Kunst und Leben nicht vorgestellt.
[ Bis 28. Mai im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Die Begleitbroschüre kostet Euro 4.50. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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