Award

ZV-Bauherrenpreis 2016
Bauherrenpreis - ZV der Architekt:innen Österreichs - Linz (A)
Jury: Julia Bolles-Wilson, Falk Jaeger, Martin Kohlbauer
Veranstalter: ZV der Architekt:innen Österreichs
Preisverleihung: 4. November 2016

Noch ein­mal Blu­men­wie­se

Ge­stern, Frei­tag, wur­de der Ös­ter­rei­chi­sche Bau­her­ren­preis ver­ge­ben. Ei­nes der ins­ge­samt sechs aus­ge­zeich­ne­ten Pro­jek­te ist das Pfle­ge­wohn­heim in Wien. Es be­schert Ma­ria Z., Franz P. und Ro­sa­lia W. ei­nen schö­nen, son­ni­gen Le­bens­herbst.

5. November 2016 - Wojciech Czaja
Maria Z. ist 93 und schwer pfle­ge­be­dürf­tig. Sie liegt im Bett, starrt die meis­te Zeit an die De­cke, nur ab und zu ent­kommt ihr ein kur­zes, lie­be­vol­les Zwin­kern. In den meis­ten Pfle­ge­hei­men wür­de Ma­ria Z. den Groß­teil des Tags al­lein in ih­rem Zim­mer ver­brin­gen – nicht hier. Ma­ria Z. ist um­ge­ben von Be­su­che­rin­nen und Be­treu­ern, von Kol­le­gen und ge­ra­de sich auf Rei­se be­find­li­chen Spa­zier­gän­ge­rin­nen. Im Hin­ter­grund läuft der Fern­se­her, da­ne­ben ein Ra­dio, ir­gend­wo wird lauts­tark Kar­ten ge­spielt. Je­mand reißt ei­nen Witz, je­mand an­de­rer lacht, ei­ne Schüs­sel mit Kai­ser­schmarrn fliegt zu Bo­den. Krach.
„Es war ei­ne be­wuss­te Ent­schei­dung, die Wohn­grup­pen so zu or­ga­ni­sie­ren, dass sich die 15 Ein­zel­zim­mer je­der Wohn­grup­pe je­weils um ei­nen ge­mein­sa­men Be­reich grup­pie­ren“, sagt Bern­hard Wein­ber­ger, ei­ner der drei Part­ner von wup wim­me­rund­part­ner ar­chi­tek­tur. „Da­durch kön­nen Be­woh­ner den Groß­teil des Ta­ges, wenn sie möch­ten, ge­mein­sam ver­brin­gen.“ Und ja, das tun sie. Und mit ih­nen die Töch­ter, Söh­ne, En­kel, die an die­sem son­ni­gen Nach­mit­tag zu Be­such sind.

Gän­ge sind im Ing­rid-Leo­dol­ter-Haus, wie das Pfle­ge­wohn­heim am Kar­di­nal-Rau­scher-Platz im 15. Wie­ner Ge­mein­de­be­zirk of­fi­ziell heißt, pas­sé. Es herrscht das Prin­zip Markt­platz. Und der Be­griff ist durch­aus wört­lich zu ver­ste­hen. „Wie in ei­nem Dorf ha­ben wir die Pri­vat­zim­mer als Häus­er­zei­le be­trach­tet. Vor je­dem Pri­vat­haus gibt es, wie es sich ge­hört, ei­ne klei­ne ge­schütz­te, halb­öf­fent­li­che Zo­ne, in der man auf ei­nem Bank­erl Platz neh­men und das Ge­sche­hen be­ob­ach­ten kann. Wer will, kann sich auch di­rekt zum Dorf­an­ger be­ge­ben und den Tag am Markt­platz ver­brin­gen“, so Wein­ber­ger.

Für das un­ge­wöhn­li­che Raum­kon­zept, das be­reits Teil der Wett­be­werbs­aus­schrei­bung war, wur­den der ge­mein­nüt­zi­ge Bau­trä­ger Ge­si­ba und der Wie­ner Kran­ken­an­stal­ten­ver­bund (KAV) ge­stern, Frei­tag, mit dem Ös­ter­rei­chi­schen Bau­her­ren­preis aus­ge­zeich­net. Das vor ei­nem Jahr er­öff­ne­te Pfle­ge­wohn­heim (In­ves­ti­ti­ons­vo­lu­men 72 Mio. Eu­ro) ist ei­nes von ins­ge­samt sechs Pro­jek­ten, die von der Zen­tral­ver­ei­ni­gung der Ar­chi­tek­tIn­nen Ös­ter­reichs (ZV) ge­kürt wur­den. Der jähr­lich ver­ge­be­ne Preis ver­steht sich als Wür­di­gung der Auf­trag­ge­be­rin­nen und Auf­trag­ge­ber.

„Das Ni­veau der Ein­rei­chun­gen war sehr hoch“, sagt Ju­ry­mit­glied Mar­tin Kohl­bau­er. „Und das Pfle­ge­wohn­heim in Ru­dolfs­heim-Fünf­haus ist ein be­son­ders be­hut­sam ge­plan­tes Haus. Es ist nicht nur ein mit Ver­ve und En­ga­ge­ment be­auf­trag­tes und be­glei­te­tes Pro­jekt, son­dern auch ein wun­der­ba­res Bei­spiel da­für, wie man al­te, ge­brech­li­che und mit­un­ter an De­menz er­krank­te Men­schen an ei­nem ge­sell­schaft­li­chen Le­ben teil­ha­ben lässt. Mich per­sön­lich hat das Ge­bäu­de sehr be­rührt.“

Franz P. und Ro­sa­lia W. bie­gen um die E­cke. Tür auf, Tür zu, und wei­ter geht’s. Die bei­den ha­ben, wie die meis­ten de­men­ten Men­schen, ei­nen ho­hen Be­we­gungs­drang und ver­brin­gen ih­re Frei­zeit am liebs­ten im Ge­hen. Da­zu ha­ben sie im 328-Bet­ten-Haus schier un­end­lich vie­le Op­tio­nen. „Sämt­li­che Tü­ren ste­hen of­fen“, sagt Pro­jekt­lei­ter Wein­ber­ger. „Durch die vier gro­ßen In­nen­hö­fe, die wir in den gro­ßen Stra­ßen­block ein­ge­schnit­ten ha­ben, hat je­der die Wahl, ob er die ganz gro­ße Run­de dre­hen will oder lie­ber ei­ne et­was kür­ze­re Ach­ter­schlau­fe geht.“

Lang­wei­lig ist die Rei­se für Franz P. und Ro­sa­lia W. kei­nes­wegs. Im­mer wie­der gibt es Bän­ke, im­mer wie­der gibt es Lüm­me­le­cken und Lehn­bo­ards, an de­nen man ei­ne Rast ma­chen und die spie­len­den Kin­der im Kin­der­gar­ten­hof (EGKK Land­schafts­ar­chi­tek­tur) be­ob­ach­ten kann. Kur­ze Pau­se, und wei­ter geht’s. „De­men­te Men­schen nei­gen da­zu, op­ti­sche Brü­che und all­zu ab­rup­te Wech­sel in den Ma­te­ria­li­en als Bar­rie­re zu ver­ste­hen“, er­klärt Ar­chi­tekt Hel­mut Wim­mer. „Dann blei­ben sie ste­hen und ge­hen nicht wei­ter. Und das wä­re doch ewig scha­de, oder?“

Der hier er­ziel­te Kom­pro­miss aus Kal­kül und Krea­ti­vi­tät gip­felt in ei­nem har­mo­nisch zu­sam­men­ge­wür­fel­ten Flie­sen­bo­den in Gelb, Rot, Grün und Blau. Mit dem leicht un­schar­fen Ker­zen­blick, den man im ho­hen Al­ter dank vie­ler Di­op­trien wohl oh­ne­hin ent­wi­ckelt, er­gibt sich in der grob ge­pi­xel­ten Struk­tur ein Bild von fast zau­ber­haf­ten Di­men­sio­nen. „Ein paar Be­woh­ner ha­ben uns schon rück­ge­mel­det, was für ei­ne Freu­de sie mit der bun­ten Blu­men­wie­se ha­ben“, so Wim­mer.

Im Erd­ge­schoß ist ge­ra­de ei­ne Ge­sangs­vor­stel­lung zu En­de. Schon strö­men die er­sten Geh­hil­fen und Rol­la­to­ren aus dem Fest­saal. „Die­ses Haus bie­tet uns al­le Mög­lich­kei­ten, um hier neue Wohn- und Pfle­ge­kon­zep­te um­zu­set­zen“, sagt die lei­ten­de Di­rekt­orin Hil­de­gard Men­ner. „Wir ha­ben viel Platz für Ver­an­stal­tun­gen, vor al­lem aber ha­ben die Be­wohn­er­in­nen und Be­woh­ner bei uns ein brei­tes Spek­trum an Mög­lich­kei­ten, wie sie den Tag ver­brin­gen möch­ten – ob das nun im Zim­mer, am Markt­platz oder drau­ßen auf der Log­gia ist.“

Im­mer öf­ter, er­zählt Men­ner, kom­men Kin­der und Ju­gend­li­che zu Be­such, be­tei­li­gen sich An­rai­ner aus der Um­ge­bung an Ver­an­stal­tun­gen. Vor dem Ca­fé im Erd­ge­schoß sit­zen ge­ra­de Ju­gend­li­che mit Ke­bab in der Hand. Und erst kürz­lich ha­be sich an ei­nem son­ni­gen Herbst­tag ein Nach­bar im Hof breit­ge­macht und sei­nen mit­ge­brach­ten Elek­trog­rill an die Out­door-Steck­do­se an­ge­schlos­sen. Pri­vat­ham­mel gab’s dann doch kei­nen. So weit ist es nicht ge­kom­men.

„Wir re­den da­von, dass die Ge­sell­schaft im­mer äl­ter wird“, sagt Ar­chi­tekt Hel­mut Wim­mer. „Ja dann ma­chen wir doch bit­te end­lich was aus die­ser Tu­gend! Zum Bei­spiel, in­dem wir den al­ten und pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen Räu­me ge­ben, in de­nen wir uns selbst ei­nes Ta­ges wohl­füh­len wer­den. Das ist un­se­re so­zia­le Ver­ant­wor­tung. Das ist un­ser Ho­ri­zont.“

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